Es ist kein Smartphone, es ist ein Auto

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Moderne Autos setzen auf große Displays, Touch-Bedienung und digitale Interfaces – ganz wie ein Smartphone. Viele feiern diese Entwicklung als Fortschritt. Und wer Kritik äußert, hört schnell:
„Das ist wie beim Blackberry – Tasten sind von gestern.“ oder „Ok, Boomer…“

Doch dieser Vergleich ist nicht nur einfach Äpfel mit Birnen – er ist gefährlich vereinfachend. Denn ein Auto ist kein Smartphone. Und der Straßenverkehr kein social Media scrolling.

Warum der Blackberry-Vergleich nicht passt

Der Wechsel vom Blackberry zur Touch-Bedienung bei Handys war eine logische Entwicklung in einem Umfeld, das dafür gemacht ist:

  • Man schaut aktiv auf das Gerät
  • Die Bedienung ist Teil der Aufmerksamkeit
  • Fehler sind in der Regel harmlos

Im Auto gelten andere Regeln:

  • Der Blick gehört auf die Straße
  • Die Bedienung muss blind und intuitiv funktionieren
  • Fehler können schwere Unfälle verursachen und Menschenleben kosten

Deshalb ist die Behauptung, physische Tasten seien „überholt“, sicherheitstechnisch nicht haltbar. Es geht nicht um Nostalgie – es geht um Funktion im Nutzungskontext.

Studien zeigen: Touchscreens lenken ab

Zahlreiche Tests und Studien belegen, dass Touchscreens im Auto die Ablenkung deutlich erhöhen:

  • Der ADAC zeigte 2022, dass einfache Aufgaben wie Radiosenderwahl oder Temperatureinstellung bei vielen Fahrzeugen mit Touchscreen 15 bis 30 Sekunden in Anspruch nehmen – bei über 100 km/h also bis zu 800 Meter Blindflug. (Quelle: ADAC: Bedienung im Auto)
  • EuroNCAP plant, die Bewertung von Fahrerassistenzsystemen künftig auch anhand der Ablenkung durch Displays vorzunehmen – ein deutliches Signal an die Industrie.
  • Studien aus Schweden (VTI) und Großbritannien zeigen: Fahrer, die Menüs auf Touchdisplays bedienen, sind länger abgelenkt als beim Telefonieren mit Freisprechanlage.

Je mehr du scrollen, touchen und suchen musst – desto länger bist du unaufmerksam.

Ein oft gehörtes Vorurteil: Wer Knöpfe will, ist nur nicht digital genug.“
Das ist schlicht falsch. Denn es geht nicht um technische Affinität – sondern um Sicherheit, Klarheit und Reaktionszeit. Ein Auto ist ein Raum, in dem intuitive Bedienung überlebenswichtig ist. Und das gilt für alle Generationen.

Warum unsere Sinne Vielfalt brauchen – und das Auto auch

Der Mensch ist ein multisensorisches Wesen. Beim Autofahren nutzen wir gleichzeitig:

  • den Sehsinn, um den Verkehr zu erfassen
  • das Gehör, um auf Umgebungsgeräusche oder Warnungen zu reagieren
  • den Tastsinn, um Bedienelemente zu spüren

Jeder unserer Sinne hat eine physiologische Begrenzung in der Art und Menge der Reize, die er verarbeiten kann. Dabei ist unser Sehsinn zwar extrem leistungsfähig (Auflösung, Farbunterscheidung), aber stark fokussiert – nur ein kleiner Bereich (Fovea) ist wirklich hochauflösend. Der Rest wird peripher „vermutet“.

Unser Gehirn ist kein passiver Signalempfänger, sondern filtert und gewichtet Informationen – z. B. durch:

  • Aufmerksamkeitssteuerung (nur relevante Reize werden bewusst wahrgenommen)
  • Multitasking-Limitierungen (wir können keine zwei visuellen Aufgaben gleichzeitig vollständig verarbeiten)
  • kognitive Kapazität (Arbeitsgedächtnis = ca. 4–7 aktive Informationseinheiten gleichzeitig)
  • Situationsbewusstsein (context awareness entscheidet, was gerade wichtig ist)

Deshalb sind Überlagerungen auf demselben Sinneskanal problematisch. Du kannst nicht gleichzeitig aufmerksam den Verkehr beobachten und ein Touchscreen Display bedienen.

Deshalb ist es sicherer und ergonomisch klüger, wenn Fahrzeuge Informationen und Bedienung auf mehrere Sinneskanäle verteilen, anstatt alles auf einen einzigen – etwa das Display – zu konzentrieren.

Multimodale Rückmeldung hilft – Touch allein überfordert

Ein rein visuelles Interface wie ein Touchscreen verlangt ständige visuelle Kontrolle: Blick fokussieren, Menü suchen, Fläche treffen. Haptische oder akustische Rückmeldungen dagegen entlasten das Auge, verringern kognitive Belastung und beschleunigen Reaktionen.

Diese gibt es auch für den Touchscreen doch zum einen werden genau diese gerne abgeschaltet (weil sie „nerven“) und zum anderen erlauben sie nicht den Blick zu entfernen. Sie sind zusätzliche Rückmeldungen und ersetzen die visuelle Kontrolle nicht.

Studien zeigen: Multimodale HMI (Human Machine Interface) – also Schnittstellen mit visuellen, akustischen und haptischen Rückmeldungen – führen zu:

  • kürzeren Reaktionszeiten
  • weniger Bedienfehlern
  • objektiv höherer Sicherheit
  • und damit höherem subjektivem Sicherheitsempfinden

Quelle: ResearchGate – Multimodal HMI for Highly Automated Vehicles

Der Škoda-Lenkstockhebel als Beispiel

Škoda zeigt mit dem Lenkstockhebel für ACC und Travel Assist, wie durchdachte Bedienlogik aussehen kann – ohne Display, ohne Blick, aber mit maximaler Kontrolle:

  • Geschwindigkeit einstellen, erhöhen oder senken
  • System ein- und ausschalten
  • Erkannte Geschwindigkeiten zur Übernahme bestätigen oder ignorieren
  • Alles mit einer Hand bzw. Finger – blind, ergonomisch und haptisch differenziert

Das funktioniert deshalb so gut, weil jede Funktion eine klar spürbare Position oder Bewegung hat, die Reaktion sofort akustisch oder visuell gespiegelt wird, und man den Blick nie von der Straße nehmen muss.

Das ist keine Nostalgie – das ist gelebte Multisensorik. Und genau das fehlt vielen modernen Touch-only-Konzepten. Dies betrifft auch überfrachtete Lenkradsteuerungen mit unklarem Feedback.

Sprachsteuerung: hilfreich, aber kein Ersatz

Auch die Sprachsteuerung wird oft als Zukunftslösung genannt – und sie hat ihren Platz im Auto zu Recht. Škodas „Laura“ kann Navigationsziele, Radiosender oder Kontakte per Sprache steuern Das entlastet Hände und Blick – unter idealen Bedingungen.

Aber in der Praxis funktioniert sie nicht immer zuverlässig (Dialekte, Lärm, unklare Formulierungen). Sie benötigt sie kognitive Aufmerksamkeit und sie ist nicht schneller als ein Knopfdruck.

Beispiel: „Laura, stelle die Temperatur auf 21 Grad“ braucht mehr Zeit, mehr Denkleistung und funktioniert nicht immer im ersten Versuch. Ein Drehregler macht das in einer Sekunde, blind, fehlerfrei.

Kurz gesagt: Sprachsteuerung ist eine Ergänzung – kein Ersatz.

Fazit: Wer Knöpfe verteidigt, ist nicht altmodisch – sondern aufmerksam

In der Softwarewelt gilt: Don’t make me think.
Im Auto muss es heißen: Don’t make me look (away).

Ein Fahrzeug-Cockpit ist kein Ort für Designexperimente oder Symbolik – sondern für klare, funktionale Ergonomie. Ein Knopf an der richtigen Stelle ist kein Rückschritt. Sondern ein Statement für Sicherheit.

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